Die Familiengeschichte des schlesischen Schriftstellers Hans Lipinsky-Gottersdorf
Die Preußische Zeit
Ein neuer Abschnitt in der Geschichte Schlesiens bahnte sich an und leitete mit dem Regierungsantritt Friedrich des II. (1712-1786) am 31. Mai 1740 eine neue Zeit für Schlesien ein.
Der König erhebt, noch bevor der durch die Thronbesteigung der Erzherzogin Maria Theresia ausgelöste Erbfolgekrieg beginnt, Ansprüche auf Teile von Schlesien.
Er führt um den Besitz Schlesiens mit unterschiedlichen Verbindungen drei Kriege: 1740-42, 1744-45 und den Siebenjährigen Krieg 1756-63.
Bereits seit dem Tod seines Vaters schlägt Jan Andrzej die militärische Laufbahn ein, die traditionell schon sehr früh ihren Anfang nimmt.
Die von Preußen als Schulen eingerichteten Kadettenanstalten für den adligen Offiziersnachwuchs nahmen die Söhne des Adels bereits im Alter von 1o Jahren auf.
Seine militärische Laufbahn beginnt er als Kadett, dann Offizier, Kapitän, Major.
1730 heiratet der 20jährige Jan Andrzej (nun preußisch Johan Andreas genannt) die gleichaltrige Barbara Bronikowska herbu Przyjaciel, eine Verwandte des Generals Carl von Bronikowski, der schon unter Friedrich Wilhelm I. die Umgestaltung der preußischen Reiterei in Angriff genommen hatte.
Die Bronikowski galten als diejenige Familie des polnischen Adels, die sich am entschiedensten zu Preußen bekannte.
Während der Zeit des 1. Schlesischen Krieges nimmt Jan Andreas Poray Lipinsky als Preußischer Offizier an den Kämpfen teil.
Die Amtsgeschäfte des Scholzen in Gottersdorf werden von 1741-48 einem Martynus-Sohn übertragen.
Zwei Söhne entstammen der Ehe mit Barbara Bronikowski:
Michal Johann Poray Lipinsky * 29.6.1731 Gottersdorf/Erbscholtisei
In der Taufurkunde wird sein Vater Johan Andreas Poray Lipinsky erwähnt als Erb- und Gerichtsscholz zu Gottersdorf, Loffkowitz, Dambrowa und Herr auf Antheil Würbitz.
und
Jan Jirzi Poray Lipinsky * 10.8.1743 G’dorf/Erbscholtisei.
Erwähnung des Vaters als Königlicher Amtsscholz und Erbscholz zu Gottersdorf.
Später wird er zu einer der schillerndsten Figuren unserer Familiengeschichte .
Die Zeit des Friedens nach dem Ende des 2. Schlesischen Krieges im Dezember 1745 war nur von kurzer Dauer. Die Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden neuen Krieg mit Österreich mehrten sich. Friedrich II. entschloß sich, den Angriff seiner Gegner nicht erst abzuwarten, sondern marschierte mit seinem Heer am 29. August 1756 in Sachsen ein und löste damit den Siebenjährigen Krieg aus, auf dessen Schlachtfeld Hochkirch Johan Andreas Poray Lipinsky im Kampf gegen die Österreicher sein Leben läßt.
Koser beschreibt in seiner „Geschichte Friedrich des Großen“ die Niederlage bei Hochkirch am 14. Okt. 1758: „Der erste Anprall ….. galten den beiden Freibatallionen im Birkenbusch unterhalb des Dorfes. ….. Die hier lagernden Leibhusaren und Chettritzdragoner waren schnell im Sattel “.
(Reinhold Koser. Geschichte Friedrich des Großen. 4 Bde. Darmstadt, Wiss. Buchgemeinschaft 1963. Bd. 2, S. 607)
Unter den Chettritzdragonern befanden sich auch Johan Andreas Poray Lipinsky und sein 15jähriger Sohn Jan Jirzi. „Gefallen auf dem Feld der Ehre: der Dragoner-Capitän Jan Andreas am 14. Oct.1758 bei Hochkirch“, aber mit dem Leben noch einmal davon gekommen der damals 15jährige Sohn des Gefallenen, Jan Jirzi, in der Blessiertenliste wie folgt erwähnt:
„Unter den Verwundeten der verschiedensten Truppenteile von den Chettritz-Dragonern JUNCKER GIRZIG LIPINSKI VON GOTTERSDORF PORAY“.
(Blessiertenliste, handschriftlich, Hochkirch Oktober 1758. Konvolut: unveröffentlichte Nachrichten aus dem 7jährigen Krieg, Militärbibliotek Burg Hohenzollern)
Kurz vor Ende des 7jährigen Krieges erhalten Jan Andreas Poray Lipinsky, posthum, sein Sohn Jan Jirzi Poray Lipinsky, Sec.-Lieutenant und Thomas Poray Lipinski gen. Dmowski die Preußische Adelslegitimation und die Bestätigung des Adligen Standes ihrer Väter und Vorväter durch Friedrich dem Großen
Preußisches Wappen
„Im Schwartzen Schild die Silberne Rose;
Auff gecröhntem Helm die silberne Rose;
Die Helm-Deken seyn Schwartz und Silbern“.
(17.12.1762 Bestätigung des uralten polnischen und Aufnahme in den preußischen Adel durch Friedrich den Großen)
Damit sind für den 19jährigen Jan Jirzi Poray Lipinsky die Weichen für seine militärische Laufbahn in der preußischen Armee gestellt, die er 1757 als Kadett begann und die 1787 als Major a la Suite nach dem Tod seines Königs endete.
Da Jan Jirzi nun als aktiver Offizier wohl nur selten oder in unregelmäßigen Abständen in Gottersdorf anwesend ist und dringend Geld für seine militärische Laufbahn und das kostspielige Leben (Uniformen, Pferde, Wohnung, Essen) in der preußischen Garnisonsstadt Potsdam benötigt, tritt er 1767 ein Sechstel des Grundbesitzes der Erbscholtisei als Leihkauf, d.h. zeitlich begrenzt, an George Poray Lipinsky ab und überträgt ihm gleichzeitig das Scholzenamt Gottersdorf. Die übrigen Anteile verwaltet seine Mutter Barbara Bronikowska für ihn bis zu ihrem Tod 1787.
1771 schließt er als Witwer und Königlicher Capitän eine zweite Ehe zu Constadt mit Carolina Rosenberg Lipinsky, Tochter des Adam Moritz Lipinsky Rosenberg, unehelicher Sohn des Grafen Leszczynsky Rozemberk.
1772 taucht sein Name im „Verzeichnis pohlnischer Adelicher der Potsdamer Garnison“ auf:
„Dragohner Capitän von Poray Lipinsky, Erbrichter zu Gottersdorf im schlesischen Fürstentum, Erbherr auf Murkow im Pohlnischen“.
(Handschriftliches ‚Verzeichnis Pohln. Adelicher der Potsdamer Garnison. 1772. Militärbibliothek Burg Hohenzollern)
Zu Anfang des Jahres 1776 erscheint er wohl doch noch einmal in der Gottersdorfer Erbscholtisei. Denn seine Frau wird schwanger und entbindet am 16. Dec. 1776 im Cavalierhaus des Schlosses Bezyin einen Sohn, evangelisch getauft auf die Namen
Adam Friedrich Poray Lipinsky.
In der Urkunde wird sein Vater als Königlich-Preußischer Rittmeister erwähnt, der vermutlich bei der Geburt seines ersten Kindes gar nicht anwesend war. Im Jahr darauf läßt sich Jan Jirzi Poray Lipinsky von seiner Ehefrau scheiden, ordnet seine Verhältnisse in Gottersdorf und kehrt seiner Familie für immer den Rücken zu.
1783 berichtet die „Chronik der Stadt und Herrschaft Parchim“ über eine ansehnliche Hochzeit am 3. Oct. des Königlich-Preußischen Majohrs vom Regiment Gens d’Armes, Herr Johan George Lipinsky vom Geschlecht Porei zu Gottersdorf im Fürstentum Oels mit dem Fräulein Catharina Helene von Cramon aus dem Hause Ihlow.
( Chronik der Stadt und Herrschaft Parchim, Bd. 4, Artikel über den Ständetag v. Oktober 1783)
Die Regierungszeit Friedrich des Großen neigt sich ihrem Ende zu.
Den 1. Schlesischen Krieg begann er mit 28 Jahren. Als er aus dem letzten, dem Siebenjährigen, heimkehrt, ist er 51 Jahre. Aber in seiner Regierungszeit fallen nicht nur die drei Schlesischen Kriege, die mit dem Siebenjährigen 1763 und der Eroberung fast ganz Schlesiens ihr Ende fanden, sondern auch friedliche Schlachten.
1744 beginnt der Bau des Finow-Kanals, 1746 der des Storkower Kanals und die Trockenlegung des Oderbruchs. 1763 war das große Werk vollendet.
32.500 ha Land sind gewonnen. 50 neue Dörfer gegründet von Zuwanderern vor allem aus Mecklenburg, Sachsen, der Pfalz, Hessen und Württemberg, ferner aus Polen, Österreich, der Schweiz und Schweden.
Friedrich II. versprach ihnen Religionsfreiheit, Freiheit der Leibeigenschaft, Haus und Hof und vieles mehr.
„Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert, die mir keinen Soldaten gekostet hat“, seine Worte.
Auch in Schlesien ging die Entwicklung unter ihm rasant vorwärt. Es wurde zum Musterland der preußischen Verwaltung.
Er förderte den Bergbau und das Hüttenwesen erst in Niederschlesien, später in Oberschlesien.
Das Schulwesen wird reformiert und bis 1769 nicht weniger als 238 evangelische und 250 katholische Volksschulen in Schlesien geschaffen.
Große Gebiete des Landes wurden aufgesiedelt. Friedrich II. umwarb die Gutsherren, fremden Bauernfamilien die Ansiedlung in der Nachbarschaft ihrer Landsitze zu erleichtern und zahlte für jede neue Kolonistenstelle eine Prämie von 150 Thalern.
In diesem Land entsteht dank des durchorganisierten Beamtenstaates, der sich um alles kümmert, alles anordnet, alles selbst kontrolliert, eine durch alle Schichten gehende Untertanenmentalität.
Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sparsamkeit, Gehorsam, Pflichttreue – sie sind die preußischen Tugenden.
Für den Fall seines Ablebens hat Friedrich II verfügt: „Ein Begräbnis ohne Pomp, ohne Prunk und ohne die geringsten Zeremonien“. Sein Neffe und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. ignorierte sein Vermächtnis und ließ ihn mit großem Pomp in der Potsdamer Garnisonskirche beisetzen.
1786 berichtet der Feldprobst Johann Gottfried Kletschke in einem Aufsatz über die letzten Stunden und das Leichenbegräbnis Friedrich II.
Wir erfahren, daß Jan Jirzi, den großen König auf seinem letzten Weg begleitet hat.
Er wird in jenem Aufsatz genannt bei den Offizieren der Königlichen Suite, die dem Leichenwagen folgen, bei der Ehrenwache am Sarge und bei den Kleinodien und als einer der acht Majors, die zur Führung der mit schwarzem Samt bedeckten Leichenpferde bestimmt waren.
(Letzte Stunden und Leichenbegräbniß Friedrichs des Zweiten Königs von Preußen. Potsdam: Carl Christian Horvath, 1786, S. 27, 56, 74)
Mit dem Tode seines Herrschers 1786 ging auch für ihn die Ära am Hofe des Königs in Potsdam zu Ende.
28 Jahre lang hatte er Preußen treu gedient, Preußen, das seine Untertanen sein, bleiben und glauben ließ, was immer sie wollten, wenn sie nur taten, was sie sollten.
Er war immer dort, wo der König seine Schlachten schlug, Niederlagen erlitt und Siege errang, wurde geadelt wegen ‚bewiesener unterthänigster Treue und Ergebenheit‘, „dachte Preußisch, fühlte Preußisch, erkannte die preußische Ordnung und deren Wertrangliste als vornehmsten Maßstab an“, obwohl in seinem Zuhause an der Prosna bis hoch ins 19. Jahrhundert hinein polnisch gesprochen wurde. HLG
(Hans Lipinsky-Gottersdorf. Der Sprosser schlug am Pratwa-Bach. Geschichten und Berichte. Würzburg: Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn. 1984, S. 16)
1787 verläßt er Potsdam und gilt für lange Zeit als verschollen.
Erst zehn Jahre später erfährt die Familie, daß sich Jan Jirzi Poray Lipinsky in Rußland aufhält und in der Armee des Zaren als Kaiserlich-Russischer Generalmajor dient.
Er ist wieder verheiratet mit Anna Witwe Chmielska, geb. Puttkamer, gestorben 1831 in Warszawa.
1799 am 11. Dezember wird in Minsk ihr Sohn Iwan Grigorjewitsch Poray Lipinsky geboren, der im August 1825 in Warszawa die Ehe mit Warwara Gräfin Sulatycka schließt und am 7. Sept. 1830 bei Warschau als Kaiserlich-Russischer Oberstleutnant fällt.
Die Stammlinie führt fort Mikolaj Iwanowitsch Poray Lipinsky, geboren 29. Juli 1829 in Warszawa, verheiratet am 7. Sept. 1853 in Warschau mit Tatjana Michailowna Gortschakowa aus Twer. Er stirbt 18. Okt. 1901 als Kaiserlich-Russischer Kollegienrat in St. Petersburg.
Sohn dieser Ehe ist Anton Nikolajewitsch Poray Lipinsky, geboren 19. Juni 1856 in Warszawa. Er heiratet 15. Januar 1878 in Kalisz Swetlana Jakowlewna Romiszowska aus Kalisz.
Er stirbt als Kaiserlich-Russischer Hauptmann am 7. Dez. 1898 in Kiew.
Als einzige Tochter dieser Ehe wird Elzbieta Poray Lipinska am 29. März 1881 in Wilna geboren. Am 2. Juli 1904 findet in Troki die Hochzeit mit dem Kaiserlich-Russ. Forstassessor Aleksander Zalanski herbu Zadowa, geboren 2. Juli 1904 in Troki, statt.
Sohn dieser Ehe ist Adalbert Zalanski von Zadora.
Er berichtet vom tragischen Ende seiner Mutter in einem Brief an Hans Lipinsky-Gottersdorf vom 23.2.1977 aus Lancken/Mecklenburg, DDR, wie folgt:
„Sehr geehrter Herr Lipinsky-Gottersdorf!
Danke Ihnen sehr für Ihr Schreiben vom Januar d.J. und bitte um Entschuldigung für die lange Wartezeit. Habe ein Viertel Jahr im Krankenhaus gelegen und bin noch immer etwas mit dem Herzen herunter, möchte Ihnen aber jetzt endlich schreiben, daß ich mich sehr gefreut habe über das alte Papier. Ich hatte es schon lange nicht mehr, ist mir verloren gegangen in Ungarn gegen Ende des Krieges und das alte Original v. 1762 ist wie ich gehört habe im September 1939 gleich beim deutschen Einmarsch meiner Mutter von einem deutschen Offizier mit adligem Namen weggenommen worden als die SS sie mit den anderen zur Aussiedlung nach Zastary brachte. Sie soll auf dem Transport gestorben sein. Hatte schon im Lager Zastary einen schweren Herzanfall, weil die SS sie als halbjüdisch geprügelt und geschunden hat. Sie, Herr Lipinsky können nichts dafür, aber es ist doch schwer wenn man zurückdenkt an diese Zeit.
Ich bin schon von 34 in Ungarn gewesen und habe meine Mutter nicht wieder sehen können, weil ich mich nicht in Pilsudskipolen nicht sehen lassen durfte, auch in Deutschland nicht. Frau von Fürstenberg hatte mich angezeigt und ich mußte von Thule in der Nacht fort. Aber Sie wissen ja nicht,, darum will ich Ihnen erzählen was Sie wissen wollen.
Nach Thule bin ich 1932 gekommen schwarz über die Grenze, denn die polnische Polizei hat nach mir gesucht.
In Kreuzburg bin ich zu einem Herrn Lipinsky gegangen, den meine Mutter kannte er arbeitete auf dem Landratsamt, glaube als Rechnungsrat oder so etwas und hat mich nach Thule zu Baron Fürstenberg gebracht. Dort war ich dann als Hilfsförster tätig und habe mich auf Rat von Herrn Lipinsky in Kreuzburg beworben um Aufnahme in die Schlesische Adelsgenossenschaft, wollte meine Mutter aus Polen weghaben und in Schlesien in ein adliges Heim. Das wäre auch so gekommen, wenn nicht Hitler 33 die Macht bekommen hätte.
Schon im Herbst hat Frau v. Fürstenberg, die Gnädigste Baronin und Schneiderstochter mich der SA Polizei gemeldet weil ich etwas jüdisch war. Herr Lipinsky hat mir geraten dass ich nach Ungarn sollte und er hat mir eine Adresse gegeben bei Beuthen. Da haben sie mich dann über die Tschechische Grenze gebracht.
Herr Lipinsky war sehr brummig und bei den Bauern befürchtet, aber er war ein guter Mann. Mir hat er geholfen auch der Verwandtschaft wegen; auf dem Hofe von dem er kam im Gottersdorf ist mein Vorfahr von der Mutterseite geboren worden und Herr Lipinsky stammte auch von ihm ab. Wir waren zusammen in Gottersdorf, ein rotes Haus mit Säulen. Der Herr, dem es gehört hatte war vor kurzem gestorben und nur zwei Damen dort.
Wir waren auch in Kunzendorf wo das alte polnische Holzhaus in dem dieser Vorfahr geboren war noch stand, war ein ganzer Bauernhof untergebracht aber die Wappen noch zu sehen, wo jetzt der Kuhstall war. Im Balken.
Herr Lipinsky hat sich damals auch eine Abschrift von Notar Jankowsky machen lassen und hat mir weitere Urkunden über General Jan Jirzi Poray Lipinsky meinen und seinen Vorfahr angeschafft; über ihn weiss ich daß der General mehrmals veheiratet gewesen ist und habe auch das Grab von seiner früheren Frau auf dem Friedhof in Gottersdorf gesehen. Wie hieß weiss ich nicht mehr habe auch gar keine Urkunden behalten sondern nur noch was ich mir aufgezeichnet habe aus dem Stammbaum meiner Schwester.
Ich schreibe es Ihnen auf und hoffe dass es Ihnen etwas nützen wird.
Wenn Gott will werde ich diesen Sommer nach München fahren zu meiner verheirateten Tochter, dann können wir uns vielleicht einmal treffen und unterhalten.
Ich bin nach dem Kriege in die hiesige Partei eingetreten und mein Sohn ist Offizier, da kann man nicht alles so machen wie es möchte.
Der Hof auf dem ich damals in Gottersdorf war ist die Scholtissei. Von der stammen Sie auch. Ich würde gern mit Ihnen von allem reden was früher war.
Mit freundlichen Grüßen Ihr gez. Zalansky
(Brief von Adalbert Zalansky vn Zadora an Hans-Lipinsky-Gottersdorf. Lancken/Mecklenburg/DDR. 23.2.1977)
Jan Jirzi’s militärische Laufbahn stand im Mittelpunkt seines Lebens. Den Ruhm erkämpfte er sich auf den Schlachtfeldern.
Während seine Vorväter seit Poraj polnischen Piasten dienten, beginnend mit Mieszko I., kämpften sein Großvater Jan Michal Poray Slawnikow als polnischer Oberstleutnant, sein Urgroßvater Jan Otarz Lipinsky als Rittmeister und sein Ur-Ur-Großvater Jan Poray Lipinski als Rittmeister in der Conföderation Leszczynski als letzte für die Sache Polens.
Er, der 29 Jahre für den Preußischen Adler stritt, beendete als Kaiserlich-Russischer Generalmajor seine militärische Laufbahn und auch sein Leben mit 62 Jahren unter der Zarenkrone auf dem Schlachtfeld bei Austerlitz.
Adam Carl Friedrich Poray Lipinsky
* 16. Dec. 1776 zu Bezyin
+ 08. Sept. 1845 Erbscholtisei Gottersdorf
Studiosus an der Universität Halle von 1794-1797
Erb- und Gerichtsscholz zu Gottersdorf u. Dombrowa
Herr auf Anteil Würbitz
Haus- und Grundbesitzer in Constadt
In der Erbscholtisei Gottersdorf war die dritte Ehefrau von Jan Jiri Poray Lipinsky seit ihrer Heirat auf sich allein gestellt.
Beide lebten von Anbeginn ihrer Ehe an verschiedenen Orten: Er als Rittmeister in der Potsdamer Garnison und sie, ein geborenes Landedelfräulein, in der Erbscholtisei Gottersdorf.
Die Pflichten des Erbscholzen und die Verwaltung des Gutes nahm ein Verwandter wahr.
Den Verkauf eines Drittels seines Besitzes 1768 für die Unterhaltung der kostspieligen Laufbahn in Potsdam kaufte Caroline 1786 zurück und war somit wieder alleinige Besitzerin der gesamten Erbscholtisei.
Sie erzog ihren Sohn Adam, schickte ihn auf ein Gymnasium, ließ ihn studieren und hatte bestimmt auch Einfluß auf seine spätere Entscheidung, nicht die Tradition der Vorväter fortzusetzen. Der junge Adam entscheidet sich gegen die alte Tradition der Poray Lipinsky, eine militärische Laufbahn einzuschlagen, und wählte das Leben eines Erbscholzen auf eigenem Grund und Boden.
1798 heiratet er die Tochter des Schönwalder Erbscholzen Freytag, Anna Rosina. Das Glück ihrer Ehe dauert nur kurze Zeit, 1806 stirbt die junge Frau nach der Geburt ihres vierten Kindes.
Neben diesem Schicksalsschlag mußte sich der junge Erbscholz einer neuen politischen Situation stellen.
Es war die Zeit der französischen Revolution, des Niedergangs Preußens, der Eroberungszüge Napoleons.
Die Franzosen rücken in Schlesien ein. In den Kreis Kreuzburg kamen am 20. Januar 1807 insgesamt 17 französische Kompagnien, die auf Städte und Dörfer verteilt und von dort aus verpflegt werden mußten. Auch in den Transport der Truppen samt ihrer Bagage waren die Bewohner eingebunden.
Eine schwere Zeit für einen Erbscholzen, sein Dorf durch die Schwierigkeiten von Einquartierungen, Kontributionen und Rekrutierungen zu bringen.
Um Amt, Familie und Landwirtschaft aufrechtzuerhalten, den vier Kindern wieder eine Mutter zu geben, heiratet Adam in 2. Ehe im Juli 1807 die Cousine der Verstorbenen, Rosina Kabitz, Tochter des Erbmüllers Johann Kabitz aus Kreuzburg.
Rosina gebar ihm drei weitere Kinder, von denen nur ihr Sohn Christian Gottlieb Lipinsky Poray überlebt, der zukünftige Erbscholz von Gottersdorf und Urgroßvater von Hans Lipinsky Gottersdorf.
Doch auch Rosina stirbt zehn Jahre später im Alter von 27 Jahren an Scharlach.
Er entscheidet sich gegen die Sitte, erst ein Trauerjahr vergehen zu lassen, und heiratet ein drittes Mal 1818 bereits drei Monate nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau deren Nichte Eva Barbara Kabitz, 21 Jahre jünger als er und später Mutter von vier weiteren gemeinsamen Kindern.
Ihre im August 1819 geborene Tochter Johanna Poray Lipinsky heiratet 1839 standesgemäß Carl Christian Pietrusky aus der Bürgsdorfer Erbscholzenfamilie , deren Spross Tomasz Pietruski herbu Starykon zu Ende des 16. Jh. einen polnischen Zweig der Pietruski z Siemuszowa herbu Starykon nach Schlesien in den Kreis Kreuzburg verpflanzte.
Carl Christian Pietrusky oo Johanna Poray Lipinsky
1811-1891 1819-1906
Die drei Ehen des Erbscholzen Adam Carl Friedrich Poray Lipinsky und seine Nachkommen
Das Leben des Gottersdorfer Erbscholzen Adam Poray Lipinsky, geprägt von sich häufenden Schicksalsschlägen, dem Napoleonischen Krieg und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Veränderungen, neigt sich seinem Ende zu.
1841 übergibt 65jährige Adam die Erbscholtisei seinem Sohn Christian Gottlieb Poray Lipinsky mit allen Rechten und Pflichten.
Und wieder löst eine neue Erbscholzen-Generation die alte ab.
Nachdem seine Ehefrau Eva geborene Kabitz im August 1845 mit 48 Jahren stirbt, verläßt auch ihn der Lebenswille.
Nur drei Wochen später ist „Altersschwäche“ im September 1845 die Ursache seines Todes.
Wie schon seine Vorfahren seit 1725 wird auch er auf dem Gottersdorfer Familienfriedhof nahe der Erbscholtisei an der Seite seiner Frau zur Ruhe gebettet.
Die Geschichte der Gottersdorfer Erbscholzenfamilie Lipinsky wird von Christian Gottlieb Poray Lipinsky, Erbscholtiseibesitzer von 1841-1857, fort geschrieben.
Noch ist das Amt des Erb- und Gerichtsscholzen erblich.
Hatte sich zwischen dem Poray-Lipinsky-Dmowski-Zweig und den Schönwalder Erbscholzen ein Bereich besonders dichter Verwandtschaft herausgebildet, so bahnt sich in der nächsten Generation eine ähnliche Entwicklung zwischen den Gottersdorfer Erbscholzen und den Sarnauer Freytag’s an. Nur stellten diesmal die Poray Lipinsky die Söhne, die Freytag deren Frauen.
1844 führt der junge Erbscholz Susanna Beate Freytag , * 17.12.1820 Sarnau, Tochter des Christian Erdmann Freytag, Kreisverordneter und Kreistaxator in Sarnau, Krs. Kreuzburg, und dessen Ehefrau Anna Helene Miosga, in Bischdorf zum Altar.
In der Zeit von 1845-1856 werden in der Gottersdorfer Erbscholtisei vier Kinder geboren, von denen zwei unter tragischen Umständen ums Leben kommen.
Ein Jahr nach der Geburt des jüngsten Sohnes Carl Robert Theodor Poray Lipinsky stirbt sein Vater Christian mit 41 Jahren 1857 an Lungenlähmung.
Fortan ist die Witwe Susanna Beate Lipinsky Erbscholtiseibesitzerin von 1858-1881.
Da sie noch jung an Jahren, der Hof eine Männerhand und die Kinder einen Vater brauchen, heiratet sie ihren Cousin Hermann Freytag vom Erbscholzenhof Schönwald, der nun Erbscholz von Gottersdorf und Kreisscholz ist.
Doch auch diese Ehe steht unter keinem guten Stern.
Im November 1867 stirbt auch er und Susanna Beate steht wieder völlig allein mit ihren drei Kindern da.
Sie verzweifelt nicht. Es war wohl der Glaube und der Zusammenhalt der Großfamilie, der sie in ihrer seelischen Not hat stark werden lassen.
Susanna Beate Poray Lipinsky geb. Freytag
* 17.12.1820 in Sarnau
+ 28.7.1916 Gottersdorf/Erbscholtisei
Die legendäre Urgroßmutter von Hans Lipinsky-Gottersdorf
Hans Lipinski erinnert sich „an Schatten von Männern und Frauen, die in Gesprächen mit zu Tisch saßen. In Gottersdorf war eine der kraftvollen und eigenwilligen Gestalten besonders eindrucksvoll“, eben diese Urgroßmutter, „die in hohem Alter von 96 Jahren mitten im ersten Weltkrieg 1916 unter dem Dache der Erbscholtisei gestorben ist“.
(Hans Lipinsky-Gottersdorf. Der Sprosser schlug am Pratwa-Bach. Heimat an der Prosna. Würzburg 1984, S. 25)
1881 geht die Erbscholtisei an den inzwischen herangewachsenen 25jährigen Sohn Carl Robert Theodor Poray Lipinsky.
Das erbliche Scholzenamt – seit 1872 aufgehoben – wird nun durch das Amt eines gewählten Gemeindevorstehers ersetzt.
Carl Robert Theodor Poray Lipinsky
Erbscholtiseibesitzer von 1881-1902
* 23.3.1856 G’dorf + 15.5.1902 G’dorf
Am 21. Juni 1881 heiratet der junge Hoferbe
Wilhelmine Louise Freytag,
Tochter des Erb- und Gerichtsscholzen aus Sarnau Daniel Freytag.
* 20.12. 1855 Sarnau
+ 28.4.1929 zu Gottersdorf
Mutter von sieben Kindern
Carl Robert Theodor Poray Lipinsky unterschrieb den Ehevertrag nur mit „Lipinsky“ ohne den Zusatz „Poray“, der ihm und allen kommenden Generationen dadurch im neueingeführten Standesamtregister verloren ging.
Neben der Landwirtschaft wirkte er als „Provinzialdeputierer“.
Doch auch ihm ist kein langes Leben beschieden. Er stirbt mit 46 Jahren und hinterläßt seiner Witwe sieben unmündige Kinder.
Auf dem kleinen Friedhof nahe der Erbscholtisei findet er seine letzte Ruhe.
Sein Grabstein trägt die Inschrift „Poray Lipinsky“.
In „Geschichten von meiner Großmutter“ setzt Hans Lipinsky-Gottersdorf ihr ein Denkmal.
Von ihm erfahren wir, daß sie, Mutter von 7 Kindern, eine Frau von Bildung, Temperament und Energie war. „Alles ist gut, wie es ist“, diese Feststellung aus ihrem Munde war die verbindliche Formel für die Beendigung jeglichen Gespräches.
„Sie erzählte mir“, so Hans Lipinsky, „dass der Efeu, der auf unserem Friedhof die Familiengräber aus sechs Generationen dicht und dunkelgrün bedeckte, immer dann zu welken und zu kränkeln beginne, wenn der Tod sich anschicke, im nächsten Jahr Einkehr in unseren Häusern zu halten,
Damals welkte der Efeu gerade. Es war im Frühjahr 1929. Wenige Wochen späte setzte sich Großmutter bei guter Gesundheit in ihren roten Lehnsessel zum Mittagsschlaf und wachte nicht mehr auf.
Der Efeu hat uns dann vor meinen eigenen Augen noch zweimal mit solcher Vorhersage beehrt.
Wie den Efeu, so werde ich auch die drei Linden nicht vergessen, die hinter der großen Hofscheune vor dem Westhimmel standen.
Die Bäume hießen im Dorf ‚Das Gericht‘.
Und Großmutter pflegte zu ihren Lebzeiten zu erzählen, die Schösslinge seien vom Urahn Jan Otarz aus dem heimatlich litauischen Lipiny mitgebracht worden; wenn sie aber fallen sollten, so werde die Zeit gekommen sein, daß der Letzte unseres Stammes vom Hofe gehen müsse.
Die erste Linde wurde im Winter 39/40 faul und mußte geschlagen werden.
Die Zweite traf im Juli 42 der tödliche Blitz.
Und die Dritte fällte im Dezember 44 ein Sturm.
Auf den Tag vier Wochen später ging mit meiner Mutter der Treck vom Hof – für immer“.
(Hans Lipinsky-Gottersdorf. Der Sprosser schlug am Pratwa-Bach. Drei Geschichten von meiner Goßmutter. Würzburg: Bergstadtverlag. 1984, S. 44/45)
Im Erbgang ging nun die Erbscholtisei von 1902-1932 an ihren Sohn Georg Daniel Wilhelm Lipinsky.
Als dieser wieder verhältnismäßig jung und unverheiratet stirbt, ist es sein Bruder Robert Carl Theodor Lipinsky, der die ritterliche Erbscholtisei übernimmt.
Robert Carl Theodor Lipinsky, Vater von Hans Lipinsky Gottersdorf, wird als „letzter Herr auf Gottersdorf“ in die Familiengeschichte eingehen.
Robert Karl Theodor Lipinsky
* 10.8. 1889 Gottersdorf/Erbscholtisei
+ 23. 10. 1960 zu Köln
Erbscholtisei-Besitzer von 1932-1945
Letzter Herr eines alten Familienbesitzes
Oberamtsanwalt am Gericht in Kreuzburg
Justizdolmetscher für slawische Sprachen
Major a.D.
„Sein Leben lang nach Haltung und Gesinnung ein slawischer Preuße“.
Hans Lipinsky Gottersdorf
Im Sommer des Jahres 1889 wird er als 6. Kind in Gottersdorf geboren. Er ist 13 Jahre alt, als sein Vater stirbt und sein ältester Bruder Georg die Erbscholtisei übernimmt.
Zunächst besucht er das Gymnasium in Kreuzburg, studiert anschließend Jura und schlägt danach die Beamtenlaufbahn ein, später als Oberamtsanwalt am Gericht in Kreuzburg.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges heiratet er im Dezember 1918 in Lissa/Posen, Lina Eulitz, Tochter des Buchhändlers und Besitzers des berüchtigten Ostmarkenverlages in Lissa, Oskar Eulitz, der nach der Ausweisung durch die polnische Behörde aus Lissa einen neuen Verlag und eine Buchhandlung in Stolp/Pommern eröffnete.
(HLG, Der Sprosser schlug am Pratwa-Bach. Würzburg 1984, S.23 )
Ab jetzt bestimmen die weiteren Ereignisse in Preußen und damit auch in Schlesien der Waffenstillstand vom Nov. 1918, das Inkrafttreten der Weimarer Verfassung vom 11.Aug. 1919 und der Versailler Vertrag vom 28.Juni 1919 das Leben.
Das noch während des 1. Weltkrieges in Paris gegründete „Polnische Nationalkomitee“ meldet im August 1919 Ansprüche auf Teile Schlesiens an.
Unter dem Druck internationaler Öffentlichkeit einigen sich die Alliierten entgegen ihrer ursprünglichen Absicht auf die Zulassung einer Volksabstimmung in großen Teilen Oberschlesiens.
Das Abstimmungsgebiet wird von französischen, italienischen und britischen Truppen besetzt. Hierauf versuchten die Polen in einem von außen nach Oberschlesien hineintragenden Aufstand, eine Abtretung Oberschlesiens ohne Abstimmung zu erreichen.
Inmitten dieser dramatischen Ereignisse wird am 5. Februar 1920 im Gutshaus der Familie Zboralski bei Leschnitz/Annaberg das erste Kind von Robert und Lina Lipinsky geboren,
Hans Robert Oskar, der spätere Schriftsteller Hans Lipinsky Gottersdorf.
Robert Lipinsky und von Zboralski standen kriegerisch beim autochtonen Freicorps und waren in der Nähe von Gogolin stationiert. Sie gehörten zum ‚oberschlesischen Selbstschutz‘ unter Führung des Generals Höfer, der verstärkt durch Freiwillige aus ganz Deutschland am 21.5.1921 den von Polen besetzten Annaberg – den Symbolberg Oberschlesiens – erstürmte.
Die geplante Befreiung der von den Polen eingeschlossenen Städte des Industriegebietes wird von dem französischen Kommandierenden General verhindert. Er erzwingt die Auflösung des deutschen Selbstschutzes und später auch die der polnischen Verbände.
1921 beschließt eine Botschaftskonferenz in Genf die Teilung Oberschlesiens. Die wirtschaftlich wichtigeren Teile des Industriegebietes fallen an Polen.
1922 tritt wieder die deutsche Verwaltung in dem bei Deutschland verbliebenen Teil Oberschlesiens mit Oppeln als Hauptstadt in Kraft.
Die junge Mutter hatte bereits vorher mit ihrem Baby das umkämpfte Gebiet Oberschlesiens verlassen und ist zu ihren Eltern nach Stolp/Pommern gezogen.
Hierher kehrt auch ihr Mann Robert Lipinsky nach Abschluß der oberschlesischen Kämpfe zu seiner Familie zurück und arbeitet dort als vereidigter Dolmetscher für Polnisch und Russisch im Preußischen Landgericht bis zum plötzlichen Tod seines Bruders Georg Lipinsky 1932, Erbscholtiseibesitzer in Gottersdorf.
1921 – Robert Karl Lipinsky, seine Ehefrau Lina und ihr Erstgeborener Hans Robert Oskar, der spätere Schriftsteller Hans Lipinsky Gottersdorf, in Stolp
1923 und 1932 werden in Stolp noch zwei weitere Kinder geboren – Töchter.
„In seinen Erinnerungen“, so beschreibt Hans Lipinsky, „war Stolp nie das richtige Zuhause. Das war Gottersdorf, wo die Kinder in jedem Jahr für viele Wochen bei ihrem Onkel Juri eine unvergeßlich schöne Zeit verbrachten.
Die Erbscholtisei gehörte ihm.
Als dieser plötzlich mit 49 Jahren, unverheiratet, stirbt, übernimmt sein Bruder Robert den Erbhof. Er bricht die Zelte in Stolp ab und zieht mit seiner Familie ‚nach Hause‘ – nach Gottersdorf.
Eigentlich hatte er schon immer Landwirt werden wollen.“
„Als das Dritte Reich anbrach“, so schreibt er weiter über seinen Vater, „hatte er mit seinen fünfzig Jahren ernstlich geglaubt, er werde Hitler nicht mehr dienen müssen. Man berief ihn zu einer Übung ein.
Im April 45, zu Wildflecken in der Rhön, wurde er aus dem Wehrdienst entlassen.
Im Herbst desselben Jahres erreichte ihn aus Kattowitz, wo er im Krieg anderthalb Jahre als Wehrmachtsfürsorgeoffizier Dienst getan, ein Schreiben früherer Aufständischer, die im Krieg von der braunen Rassenbehörde unter Volksliste Vier eingestuft, zur Ausrottung‘ bestimmt gewesen waren.
Sie teilten ihm mit, daß er, falls er nach Oberschlesien zurückzukehren wünsche, willkommen sein werde.
Weil er ein Preuße bleiben wollte, hat er diese Einladung dankend abgelehnt und ist im Oktober 1960 in Köln gestorben“.
(Hans Lipinsky-Gottersdorf. Der Sprosser schlug am Praatwa-Bach. Drei Geschichten von meiner Großmutter. Würzburg: Bergstadtverlag 1984, S. 28/29)
Hans Robert Lipinsky ist ab 1932 endlich wieder Zuhause, dem alten Familienbesitz in Gottersdorf.
Von 1932-36 besucht er das Gymnasium in Kreuzburg – „am Rande des Lebensraumes gelegen, der ihm Heimat war.
Hier war der Vater Oberamtsanwalt am Gericht, dessen Bruder als Oberrentmeister in der Verwaltung tätig, hier wohnten die Tanten, bei denen als Kinder er und die Schwestern schnell hineinschauten, wenn der Wagen sich verspätet hatte, der sie nach Hause bringen sollte.
Daheim war er draußen in den Feldern, in der Weite des Landes, der Ebene, deren Saum mit dem Himmel verschmolz, ein buntgesprenkelter Teppich unter der Sonne, weiße Verlassenheit unterm Schnee – das war sein Lebensraum. Städte interessierten ihn nicht.
Nach väterlichem Entschluß geht er von 1936-39 in die Lehre, um den ersehnten Beruf des Landwirtes zu erlernen.
Sein Lehrbauer Daniel Schulz aus Sarnau, ein schlichter Mann, der wasserpolnisch redete und preußisch dachte, machte ihn nicht nur mit der Landwirtschaft, sondern auch mit den Geheimnissen alles Lebendigen vertraut.
Das Schweidnitzer Seminar schließt er später als staatlich geprüfter Landwirt ab.
Seinen Beruf hat er nie ausüben können.
Die Geschichte hat es anders gewollt.
Die Familie Lipinsky auf den Stufen der Erbscholtisei Gottersdorf im Sommer 1942
„Alles schien voller Frieden, aber der Schein trog“, so beschrieb Hans Lipinsky-Gottersdorf sein Heimatgefühl.
Hier noch einmal vereint die Familie ( v. l. n. r) : Hans Lipinsky, seine Mutter Lina, daneben die kleine Schwester Eva Maria; ganz rechts der Vater, letzter Herr auf Gottersdorf, Robert Carl Theodor Lipinsky. Im Vordergrund seine große Schwester Susanne Lipinsky und Cousine Renate Pietrusky aus dem Hause Peterwitz.
Immer, wenn Hans Lipinsky-Gottersdorf gefragt wurde, warum er Schriftsteller geworden sei, wußte er nicht so ohne weiteres eine Antwort darauf.
„Als ich meine ersten schriftstellerischen Versuche machte, war ich immerhin schon dreißig Jahre alt, hatte – daheim noch – einen aus Neigung erwählten Beruf, die Landwirtschaft erlernt und nach dem Kriege in drei oder vier anderen vorübergehend gearbeitet.
So ist also mein Werdegang scheinbar ganz vom Zufall und durch äußere Ereignisse bestimmt worden.
Ich muß also sehr genau zurückschauen in die Welt, aus der ich komme, wenn ich die verborgenen Anzeichen entdecken will, die, indes ich noch barfüßig über die Felder lief und danach trachtete, möglichst rasch ein ausgewachsener Bauer zu werden, bereits auf mein späteres Werkzeug, die Schreibmaschine, hindeuteten.
Ich liebte nichts so sehr wie Geschichten.
Die patriarchalisch-bäuerliche Ordnung, in der wir lebten, umschloß uns fest und gab uns das Gefühl warmer Geborgenheit. Alles schien voller Frieden, aber der Schein trog.
Winterliche Schlittenfahrten in die kleine Stadt Kreuzburg und in die Schrotholzkirchen einsamer Dörfer, darin die Bauern mit brummender Stimme feierliche Choräle sangen, die Fröhlichkeit der Feste und Jagden – all dies breitete trügerischen Glanz über eine Oberfläche, die schon von Rissen und Sprüngen durchzogen war.
Dann kam der Krieg und die Katastrophe, geboren aus Unverstand, Überheblichkeit und Haß.
Als ich mich lange Jahre danach wiederfand, Arbeiter in einer Kölner Fabrik, war die alte Welt zerstört, so zerstört, daß sie nie wiederkommen wird.
Meine Geschichten sind wohl nichts anderes gewesen als Versuche, fertig zu werden mit den Ereignissen, die hinter uns lagen.
Die Zeit kommt und geht und tut nicht viel, aber sie tut das Ihre.
Länder und Provinzen wechseln die Bewohner, werden menschenleer und bevölkern sich wieder und bleiben doch unverwechselbar sie selber.
“Im Jahr 1980, im heißen Mai, bin ich zum ersten Mal seit fast vierzig Jahren wieder in meinem Zuhause gewesen.
Ich betrat, eingeladen, mein Vaterhaus, das breit und wuchtig wie eh und je zwischen alten Bäumen ruht. In den noch benützbaren Räumen des Parterre residierte die sozialistische Genossenschaft.
Mein Gastgeber, der Wächter des Hofes, ein alter Partisan aus der Lemberger Gegend, bewohnt seit 1946 mit Frau und inzwischen zwei Töchtern mein vormaliges Bubenzimmer im Obergeschoß.
Er sprach einen ostpolnischen Dialekt und fragte, ob ich einmal zurückkehren wolle in dieses Haus und auf meinen Hof.
Ich ließ ihm sagen, daß ich fast so alt sei wie er. Da trank er mir wortlos zu und fragte höflich, und sehr wohl überlegt, ob ich einen Sohn habe, auf dessen Gesundheit er noch trinken könne. Ich sagte, daß ich nur eine Tochter habe. Das tue ihm leid für mich, ein Mann ohne Söhne, sei wie ein Gewitter ohne Blitze, aber er war doch ersichtlich hochzufrieden, nur auf das Wohl der einen, ungefährlichen Tochter trinken zu brauchen.
Am nächsten Tag war ich dann doch ein wenig traurig darüber, daß mir mein altes Zimmer, das ganze alte Haus so fremd geworden waren.
Wiederum einen Tag später ging ich in brütender Vormittagshitze auf dem alten weißen Feldweg zu unserer alten Grenze am Pratwa-Bach hinaus.
Unterwegs dachte ich an das Wort des August Scholtis: ‚Ich habe ein ganzes Leben an etwas gehängt, was es nicht gibt: Preußen‘, das seit anno 1871 auch die Wahrheit meines Großvaters , später meines Vaters gewesen, die hier vor mir gegangen waren. Und ich dachte, daß es ein preußischer Totentanz gewesen, was ich in den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens hier und anderswo im Osten zu sehen bekommen, nein, nicht nur zu sehen bekommen: ich war mitgewirbelt worden und selbst mitgewirbelt von Anfang an: im Steckkissen, im weißen Russenkittelchen der ersten Kinderjahre, in kurzen Jungenhosen, in landwirtschaftlichen Elevenstiefeln, derbem Lodengrün zuletzt in Uniform.
Und ich bin doch entkommen und gehe hier und bin immer noch ich, das Scholtiswort nicht nur im Sinn, sondern auch im Herzen“.
(Hans Lipinsky-Gottersdorf. Der Sprosser schlug am Pratwa-Bach. Drei Geschichten von meiner Großmutter. Würzburg: Bergstadtvelag 1984, S. 34,35,36)
Mit allem, was Hans Lipinsky-Gottersdorf schrieb, hatte er die Absicht, Geschichten zu erzählen. Geschichten über seine oberschlesische Heimat, von Land und Menschen und ihr Zusammenleben im wasserpolnischen Grenzgebiet an der Prosna, mal mit einem russischen, mal mit einem polnischen Ufer.
Aber auch immer im Gedenken an seine Väter und Vorväter und ihre Traditionen.
Hans Robert Oskar Lipinsky
* 5. Februar 1920 in Leschnitz/Oberschlesien
+ 3. Oktober 1991 in Köln
OO 14. Juni 1949 in Köln
Minna Paula Auguste Lipinsky geb. Adam
* 2. Juli 1908 zu Stralsund
+ 2. Juli 1999 zu Köln
Die Polnische Zeit (S.2) <-> Die Schlesische Zeit (S.3) <- Die Preussische Zeit (S.4)